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„Eine bessere Welt – aber nicht auf meine Kosten!“ Wie wir es schaffen, uns zu ändern


29. Juni 2020

Fragen an den Psychologen Dr. Olivier Elmer

Von Dr. Kerstin Schimmel

 

Die Corona-Krise hat bei vielen den Impuls verstärkt, sich für einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft einzusetzen: Fahrradwege wurden in den zeitweise autoleeren Städten improvisiert, in der Fleischindustrie mit ihren Corona-Hotspots sind Verbesserungen im Arbeitsschutz geplant, in der Altenpflege wurden Prämien ausgezahlt und mobiles Arbeiten könnte sich nicht zuletzt der Umwelt zur Liebe in kommenden Zeiten stärker etablieren … Haben Ideen für gesellschaftliche Veränderungen jetzt bessere Chancen?

Dr. Elmer: Die Verhaltenspsychologie hat schon sehr früh festgestellt, dass Wissen eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Verhaltensänderungen ist. Der Mensch ist leider ein beharrendes Wesen. Die Fähigkeit zum sogenannten „Belohnungsaufschub“ muss erlernt werden – Menschen orientieren sich bevorzugt an kurzfristigen Verstärkungen. Deswegen wirkt die Information über klimaschädlichen Fleischkonsum weniger als der billige Fleischpreis beim Einkauf, um nur ein Beispiel zu nennen. Unser Bild des aufgeklärten Bürgers, der selbstbestimmten Bürgerin lässt uns annehmen, dass unser Handeln von unserem Willen bewirkt wird – dass es darauf ankommt, was wir denken. Doch tatsächlich werden bis zu 50 Prozent unseres Alltagshandeln durch Gewohnheiten bestimmt. Und diese sind in unserem Gehirn anders verankert als bewusste Entscheidungsprozesse.

 

Das klingt jetzt nicht besonders optimistisch. Wie könnten Veränderungen unseres Verhaltens denn gelingen? Schlicht gefragt: Müssen uns Verbote retten?

Dr. Elmer: Der Hirnforscher Gerhard Roth weist darauf hin, dass zumindest größere Veränderungen selten ohne Unterstützung von außen auskommen. Da mache ich mich jetzt nicht beliebt, aber: Ohne beschränkende Regeln werden wir die notwendigen Veränderungen kaum schaffen. Beispiel: die Gurtpflicht beim Autofahren hat tausende Menschenleben gerettet.  Doch zunächst galt sie als verrückte staatliche Bevormundung. Erst als 1984 das Nichtanschnallen unter Strafe gestellt wurde, änderte sich das individuelle Verhalten. Ob Tempobegrenzungen im Verkehr oder tier- und menschenwürdige Verhältnisse in der Lebensmittelindustrie: Ohne klare Regeln wird es nach meiner Ansicht nicht gehen.

 

Aber Strafen als Umerziehungsmittel können doch auch kein Allheilmittel sein …

Deswegen sollten Verhaltensänderungen auch belohnt werden. So finde ich die Idee, Gemeinden finanziell zu belohnen, wenn in ihrer Nähe ein Windpark gebaut wird, nicht abwegig. Und besser, als nur an das Umweltbewusstsein zu appellieren, um für die Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel zu motivieren, ist sicherlich, Bahnfahren attraktiver zu machen und Fahrradfahrenden mehr Sicherheit im Verkehr zu verschaffen.

 

Doch sind Verhaltensänderungen nicht nachhaltiger, wenn sie auf Einsicht beruhen?

Dr. Elmer: Wir denken immer, Einstellungen müssen geändert werden, um dann das Verhalten zu ändern. Doch Studien zeigen: Wenn wir es schaffen, unser Verhalten zu ändern, ändert sich auch unser Denken. Aber klar ist auch: solche Regeln müssen eingebettet sein in eine Vision, die den Menschen vermittelt wird. Im Unterschied zum sonst geschätzten Helmut Schmidt glaube ich ja nicht, dass Menschen mit Visionen immer zum Arzt müssen … Wer sich ändern will, braucht eine motivierende Vision, wie er oder sie in einigen Jahren sein will – und das gilt auch für die Gesellschaft insgesamt.

 

Doch wie vermitteln sich solche Visionen?

Dr. Elmer: Es ist gut belegt, dass wir am besten anhand von Modellen lernen. Wenn beispielsweise ein Unternehmen es schafft, Impulse aus der Belegschaft aufzunehmen, um eine vielleicht schon in hehren Leitbildern verankerte Verpflichtung zur Nachhaltigkeit umzusetzen, wird es konkret: Das mag die Möglichkeit sein, in der Kantine Bioerzeugnisse zu konsumieren; der fair gehandelte Kaffee in der Büropause; die Möglichkeit, E-Bikes kostenfrei zu leihen, aufzuladen und sicher unterzustellen; die Verpflichtung, nur Firmen mit fairen Löhnen zu beauftragen, und vieles andere mehr. Es gibt Unternehmen, die regelrecht einen internen Wettbewerb für Nachhaltigkeits-Ideen in Gang setzen. Solche Betriebe können anderen zeigen: Schaut her, das kann klappen – und wir tun dabei nicht nur etwas für „die Umwelt“, sondern spüren, dass es uns guttut. Und nenn mich verrückt: die Kirche spricht ja auch viel von großen Zielen wie Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Es gibt ja kirchliche Einrichtungen, die das konkret für sich versuchen umzusetzen. Aber ich glaube, da ist noch Luft nach oben!

 

Illustration: Gerd Altmann auf Pixabay

4 Kommentare zu “„Eine bessere Welt – aber nicht auf meine Kosten!“ Wie wir es schaffen, uns zu ändern”

  1. Sandra Miriam Schneider schrieb am 01.07.2020 um 12:54 Uhr:
    Vielen dank für dieses interessante interview. Sehr passend finde ich den vergleich mit der "gurtanschnall"-pflicht und insgesamt immer wieder das so sensible austarieren zwischen "regeln vorgeben" und das so genannte " an die vernunft appellieren". Ist es letztlich tatsächlich die "vernunft", die uns beim wunsch nach verhaltensänderung hilft? Danke auch für Ihre überzeugung, dass - nicht zuletzt in diesem kontext - visionen wertvoll und wichtig sind. Ich stimme unbedingt zu!
    • Olivier Elmer schrieb am 01.07.2020 um 18:35 Uhr:
      Verhaltensänderungen werden dann umso fester in uns verankert werden, wenn wir sie in einen größeren Sinnzusammenhang stellen können und wenn neben Vernunftgründen auch Emotionen ihre Basis bilden.
  2. Dp Naumann schrieb am 30.06.2020 um 18:12 Uhr:
    Viele kommen über die Einsicht nicht hinaus, Veränderung geschieht durch konkretes Handeln,dabei ist es tatsächlich egal, ob es zur Vermeidung von Strafe oder dem Wunsch nach Belohnung geschieht.
    • Olivier Elmer schrieb am 30.06.2020 um 20:44 Uhr:
      Allerdings hat sich positive Verstärkung langfristig als wirksamer erwiesen als Bestrafung. Und wer es schafft, sich selbst für eine Veränderung zu loben, stinkt nicht vor Eigenlob, sondern folgt bewährten Lernprinzipien.

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