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War da was? Warum wir wirklich Wichtiges gern vergessen


27. April 2020

Fragen an den Psychologen Dr. Olivier Elmer

Von Dr. Kerstin Schimmel

 

Derzeit scheint es nur ein Thema zu geben: Corona. Wie schaffen wir es, dass andere wichtige Themen, etwa das Klima, nicht vollständig aus dem Blick geraten. Sie haben ja an ihrer Bedeutung nichts eingebüßt!

Dr. Olivier Elmer: Unser Gehirn ist auf Effizienz getrimmt. Wenn alle Medien und jedes Telefonat signalisieren: „Das ist das Wichtigste!“, konzentriert sich unsere Wahrnehmung darauf und blendet anderes aus. Diese Filterung kommt automatisch. Wenn wir unseren Blick wieder weiten wollen, müssen wir das aktiv tun – und das kostet Energie. Es ist deshalb gut, wenn z.B. die Klima-Bewegung nach einigen Wochen der Schockstarre jetzt im Netz Aktionen startet, um einen Anreiz zu setzen, sich auch wieder mit anderen Risiken zu beschäftigen.

 

Und wie können andere Themen sich in diesem Konkurrenzkampf behaupten?

Dr. Olivier Elmer: Indem wir klarmachen, dass Themenfelder wie soziale Gerechtigkeit oder Bewahrung der Schöpfung nicht isoliert bestehen, sondern auch mit „Corona“ vernetzt sind. Menschen, die in Armut leben, sind auch benachteiligt im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung und Möglichkeiten des Infektionsschutzes. Geflüchtete auf Lesbos haben in einer überfüllten Massenunterkunft gar nicht die Möglichkeit, Hygieneregeln einzuhalten, weil es dafür an den Voraussetzungen fehlt. Und Wissenschaftler gehen davon aus, dass der dramatische Verlust an Artenvielfalt die Übertragung von Viren vom Tier auf den Menschen begünstigt.

 

Das sind ja sehr komplexe Zusammenhänge. Doch du hast ja betont, dass unser Gehirn es gern etwas einfacher hätte.

Dr. Olivier Elmer: Ja, unser Gehirn reduziert Komplexität, weil es sonst in einer Reizüberflutung quasi ertrinken würde. Deswegen ist es wichtig, Zusammenhänge klar, aber nicht vereinfachend darzustellen.

 

Simple Antworten sind aber gerade wieder in Mode – ich denke an Verschwörungstheorien wie die über Mobilfunkmasten, die mit Corona zusammenhängen sollen.

Dr. Olivier Elmer: Der Mensch bevorzugt leider zwei einfache Möglichkeiten der Angstreduktion: Verdrängen oder einen Sündenbock verantwortlich zu machen. Hier hilft nur, beharrlich auf rationale Erklärungen zu setzen. Die Corona-Krise zeigt ja, wie wichtig wissenschaftliche Expertise ist – was von populistischen Figuren wie Trump immer wieder in Zweifel gezogen wird. Mit verhängnisvollen Folgen!

 

Du bist auch in der Gesundheitspolitik aktiv. Welche Lehren ziehst du eigentlich aus der Corona-Krise im Hinblick darauf?

Dr. Olivier Elmer: Ich hoffe, im Moment wird jedem klar vor Augen geführt, dass ein Gesundheitssystem, das auf private Gewinnmaximierung setzt, in Krisen verliert. Wir sehen das deutlich in den USA. Aber auch in Deutschland ist klargeworden, dass z.B. die Produktion von Medikamenten und Schutzausrüstungen nach dem Prinzip billigster Herstellung bestenfalls in Gut-Wetter-Zeiten funktioniert. Und dass es nicht sein kann, dass viele Beschäftigte im Gesundheitswesen keinen Tarifvertrag haben. Wenn diese Zusammenhänge deutlich werden, gewinnen wir auch wichtige Erkenntnisse für die Zeit nach der Krise. Nur darf es nicht bei der Erkenntnis bleiben. Sondern es müssen Taten folgen!

 

Illustration: Rohit Verma auf Pixabay

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