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Zwischen Freiheit und Existenznot: Kreative in Zeiten der Krise


21. April 2020

Dr. Kerstin Schimmel im Gespräch mit der Autorin und Publizistin Undine Materni

 

Mit vollem Recht wird heute viel von den Held*innen unseres Alltags gesprochen: der Kassiererin im Supermarkt, dem Altenpfleger, der Brummi-Fahrerin, die unser Toilettenpapier bringt, den Ärztinnen und Krankenpflegern. Doch gibt es nicht auch Held*innen der Kultur? Sind nicht diejenigen, die uns mit künstlerischen Mitteln aufklären und aufrütteln ebenfalls systemrelevant? Ist es nicht hoch einzuschätzen, wenn in Zeiten des Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-Seins Kreative da sind, die uns Mut machen, indem sie auf die Kulturschätze jenseits der Welt von Covid-19 verweisen?

Machen uns in Zeiten von Kontaktsperre und Quarantäne all die guten Filme, Bücher, Musikstücke und Bilderrundgänge durch die Museen der Welt das einsame Leben nicht um vieles leichter? Wenn Ensembles vor leeren Rängen spielen, um ein Theaterstück im Livestream zu uns nach Hause zu bringen, wenn Orchestermusiker*innen per Skype ein Konzert geben, die Schriftstellerin vom heimischen Balkon liest, dann bekommen sie sicher, und aus gebührendem Abstand, Applaus. Der ist verdient – aber reicht vor allem den Solo-Selbständigen auch der Verdienst? Können sie in diesen Zeiten überhaupt arbeiten?

 

Undine, Du hast ursprünglich Chemie studiert und als Forschungsingenieurin gearbeitet. Nach dem Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig warst Du Verlagsmitarbeiterin und seit 2006 bist Du als freie Autorin, Lyrikerin, Publizistin, Kolumnistin, Kunst- und Literaturkritikerin tätig. Mehrfach ausgezeichnet, hast Du u.a. den MDR-Literaturpreis für Kurzgeschichten sowie den Literaturförderpreis des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst erhalten, zahlreiche Gedichte veröffentlicht und Bücher wie „Die Tage kommen über den Fluss“, Gedichte deutsch-polnisch, Nachdichtungen Marek Śnieciński; „Zwischen den Monden“, Künstlerbuch mit Arbeiten der Dresdner Malerin Leonore Adler sowie „Das abwesende Haus meines Vaters“ und zuletzt „Wünschen und Wollen“ im Kölner Taulandverlag.

Als Schriftstellerin, so könnte man denken, bist Du also schon seit langem am heimischen Laptop tätig, quasi im poetischen Home Office. Alles wie immer, könnte man meinen – oder haben sich auch Deine Arbeits- und Existenzbedingungen verändert? Stellst Du gar – als ehemalige Chemikerin – in Heimarbeit Desinfektionsmittel her?

Undine Materni: Ja, eigentlich könnte man meinen, die aktuelle Situation sei normal für Schreibende. Aber so ist es ganz und gar nicht. Dazu müsste man ja täglich in der Lage sein, seine eigenen Gedanken zu fassen, zu kriegen und das ist schwierig. Zudem das Leben auch zu einem großen Teil aus direkten Kontakten besteht. So sind zahlreiche Veranstaltungen weggebrochen, auf die ich mich vorbereitet und gefreut hatte.

Die erste stand im Zusammenhang mit der Leipziger Buchmesse, „Zwischenstopp“ ist der Titel, hier wollten wir mit wunderbaren Autorinnen und Autoren auf dem Dresdner Hauptbahnhof über das (literarische) Reisen sprechen. Dann war auch die Buchmesse weg, eine ganz wichtige Veranstaltung auch für Autorinnen und Autoren, aber vor allem für Verlegerinnen und Verleger und Buchhändlerinnen und Buchhändler. Zu diesen haben wir als Schreibende intensive Kontakte. Und es ist nicht abzusehen, wie sie aus dieser Krise hervorgehen, wenn überhaupt, insbesondere sind kleine engagierte Verlage in Gefahr.

Von mir sollte in einem dieser feinen kleinen Verlage im Herbst ein Buch erscheinen, das wird jetzt auch nix. Auch ein Poesiefestival in Innsbruck, zu dem ich eingeladen war, wird auf das nächste Jahr verschoben. Hinzu kommen auch finanzielle Sorgen. Ich habe derzeit noch das Glück, Lektorate für mehr oder weniger Geld fertigen zu könne, aber ich bin ja auch nur für mich selbst zuständig, lebe sehr bescheiden und habe keine Verantwortung für das Wohl von Mitarbeitern.

Oh nein, diese Sache mit den Desinfektionsmitteln ist ein bisschen übertrieben, wenigstens im Alltag. Mich hat die Aussage einer Virologin überzeugt, dass die Corvid-19-Viren Spülmittel so ganz und gar nicht mögen. Und da ich ein wunderbares Spülmittel mit Sanddornduft mein Eigen nenne, brauche ich nicht den guten Wodka zu destillieren, obwohl ich das bestimmt noch könnte, als Studenten haben wir sogar gelernt, Siedekapillaren zu ziehen.

 

Du bist auch Kunstkritikerin und ich kann mich an so manche faszinierende Ausstellungseröffnung Deinerseits erinnern. Bei der aktuellen Ausstellung in der Evangelischen Akademie Meißen „Alles ist gefrorenes Licht“ mit Werken des Chemnitzer Künstlers Marian Kretschmer musste die Eröffnung dank Corona abgesagt werden, die einzelnen Werke aber haben wir Tag für Tag auf unserer Website vorgestellt und sie sind nun in ihrer Gesamtheit unter der Rubrik „Ausstellungen“ vom heimischen Sofa aus zu betrachten. Das ist anders, als ein üblicher Ausstellungsrundgang, hat aber gerade für ältere Menschen und all diejenigen, die weit entfernt wohnen, auch Vorteile. Hat die Pandemie in Deinen Arbeitsbereichen ebenfalls für positive, neue Wege gesorgt?

Undine Materni: Schön sind in der gegenwärtigen Situation Kontakte über soziale Netzwerke, Freunde und Kollegen sind kreativ, schicken Filme, organisieren virtuelle Lesungen und kleine Konzerte, das macht Mut und so inspirieren wir uns gegenseitig und das ist auch eine schöne Erfahrung. Ich selbst habe auch ein kleines Filmchen gedreht, obwohl ich dabei so einige Schwierigkeiten mit der Technik hatte.

Ja, und natürlich ist sehr viel Zeit zum Lesen und das entführt in andere Welten und lässt die Gegenwart für Momente hinter die Texte zurücktreten. Da kann sehr wohltuend sein. Mein „Rettungsbuch“ war Stern 111 von Lutz Seiler und nun ist es Ingo Schulzes neues Buch Die rechtschaffenen Mörder. Ich glaube, das Lesen ist intensiver geworden, weil es nicht so viele Termine draußen gibt, da trifft man sich eben eher mit den Protagonisten von guten Geschichten oder entdeckt Poesie ganz neu.

 

Liebe Undine, ich hoffe, die Kontaktsperre wird bald gelockert. Zwar wünsche ich Dir weiterhin viel Lesezeit, aber noch mehr wünsche ich mir bald wieder gemeinsame Veranstaltungen!

Weitere zu Undine Materni unter: www.undine-materni.com

Foto: Engin Akyurt auf Pixabay

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